Wenn das anstehende Coming Out die Psyche belastet…
Mittlerweile gibt es viele Menschen, unter anderem auch Prominente, die in der Öffentlichkeit freudestrahlend von ihrem Coming Out berichten. Oft bezeichnen sie die Entscheidung, öffentlich verkündet zu haben „Ja, ich bin queer!“ als ganz persönlichen Befreiungsschlag, der ihnen dabei geholfen hat, sie selbst zu sein.
Hin und wieder gerät in diesem Zusammenhang jedoch die Tatsache in Vergessenheit, dass es sich bei einem Coming Out in den meisten Fällen um einen Prozess handelt, der von Höhen und Tiefen geprägt ist. So gibt es viele Menschen, die unter einer enormen mentalen Belastung leiden, weil sie sich zum Beispiel vor den Reaktionen ihres Umfeldes fürchten. In etlichen Fällen sind Sorgen dieser Art unbegründet. Dies bedeutet jedoch nicht, dass es möglich wäre, sie einfach wegzuwischen. Die menschliche Psyche ist ein besonderes Konstrukt, das durchaus sensibel auf Stress reagieren kann.
Wer bemerkt, dass er mit der mentalen Belastung, die ein Coming Out in jeder seiner Phasen mit sich bringen kann, nicht zurechtkommt, sollte sich unbedingt Hilfe suchen. Die folgenden Tipps sollen Menschen unterstützen, die in dieser besonderen Zeit mit sich hadern.
Tipp Nr. 1: Sich selbst über seine eigenen Gefühle klar werden
Wer bemerkt, dass er „eventuell nicht hetero sein könnte“ reagiert oft verwirrt – vor allem dann, wenn diese Erkenntnis weitestgehend von Jetzt auf Gleich kommt. Nun ist es (auch, wenn es schwerfällt) wichtig, nichts zu überstürzen und sich stattdessen selbst ausreichend Zeit zu geben, um sich und seine Emotionen zu ordnen. Letztere können sich teilweise deutlich voneinander unterscheiden. So sind manche Menschen froh, weil sie „endlich“ herausgefunden haben, warum sie sich fühlen, wie sie sich fühlen. Manche sind jedoch auch traurig oder gar wütend auf sich selbst.
Als „Grundregel“ gilt: Nur diejenigen, die es geschafft haben, sich selbst über ihre Gefühle klar zu werden, sind auch dazu in der Lage, diese nach außen zu transportieren. Dies gilt auch bei der großen Herausforderung eines Coming Out. Daher gilt es, sich selbst nicht unter Druck zu setzen.
Tipp Nr. 2: Der engste Freundes- und Familienkreis als erster Ansprechpartner
Standards und Vorgaben darüber, wie ein „perfektes Outing“ aussehen sollte, gibt es nicht. Die meisten Menschen dürften es jedoch als angenehmer empfinden, sich zunächst dem engsten Freundes- bzw. Familienkreis zu öffnen. Menschen, die anderen Menschen nahestehen, sind oft dazu in der Lage, alles ein wenig neutraler einzuschätzen… und können – ganz nebenbei – auch Mut machen.
Im Idealfall ist das Öffnen den Liebsten gegenüber von positivem Feedback geprägt. Und genau das macht Mut, wenn es darum geht, den nächsten Schritt zu gehen und sich auch in der Öffentlichkeit als „queer“ zu bezeichnen.
Tipp Nr. 3: Gleichgesinnte suchen und sich austauschen
Auch, wenn es sich ein wenig theatralisch anhören mag: Niemand, der vorhat, sich zu outen und mit seinen Gefühlen hadert, ist allein. Es gibt – auch gerade jetzt im Moment – etliche Menschen, die sich fragen, wie sie mit ihrer Sexualität umgehen sollten. Dank des Internets gibt es viele Möglichkeiten, sich miteinander zu vernetzen, um zu erkennen, dass sich niemand einsam fühlen muss.
Unter anderem können sich Queers in Chats und in Foren austauschen und sich so über ihre Gefühle unterhalten – je nach Plattform weitestgehend anonym. Nach kurzer Zeit zeigt sich oft, dass es viele Personen gibt, die aktuell genau dasselbe durchleben. Und genau dieses Wissen kann auch die eigene Psyche unterstützen.
Tipp Nr. 4: Beratungsstellen aufsuchen für Hilfe beim Coming Out
Wer bemerkt, dass er sich mit der Situation, in der er sich befindet, absolut überfordert fühlt, sollte auf keinen Fall zögern, sich professionelle Hilfe zu suchen. Mittlerweile gibt es, vor allem in den größeren Städten, etliche Beratungsangebote für Queers. Menschen, die auf dem Land wohnen und nicht so weit fahren möchten (oder können), haben auch die Möglichkeit, viele der entsprechenden Angebote online wahrzunehmen.
Manchmal reicht jedoch genau das nicht aus. Glücklicherweise gibt es heutzutage auch zahlreiche Psychotherapeuten und Psychiater, die sich auf die Beratung von Queers konzentriert haben.
Fazit (und ganz wichtig): Es ist OKAY!
Jedes Outing ist individuell und sollte auch genau so behandelt werden. Eine der wichtigsten Erkenntnisse, die es in diesem Zusammenhang zu beachten gilt, ist jedoch: Queer zu sein, ist okay!
Je nachdem, unter welchen Werten ein Mensch erzogen wurde und mit welchen Personen er in Kontakt steht, kann es sein, dass es schwerfällt, sich selbst während dieser spannenden Zeit zu akzeptieren. Genau hierbei handelt es sich jedoch um den ersten (und auch um den wichtigsten) Schritt.
Und wer weiß? Möglicherweise gibt es irgendwann eine Zeit, in der sich niemand mehr „outen“ muss, weil es absolut „normal“ ist, sich selbst auf der Basis seiner sexuellen Identität und Orientierung ausleben zu können.